Epilog

Interview mit Lilian Mauthofer

Epilogue

Interview with Lilian Mauthofer

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Lilian Mauthofer, geboren 1995, lebt und arbeitet derzeit in Berlin. Neben ihrem Studium der politischen Philosophie ist ihr die Bildwelt als Repräsentation des aktuellen Zeitgeistes stets wichtig. Ihre Fotografien widmen sich den Fragen der Beziehung von Self & Other, der sozialen Gerechtigkeit, des Empowerments und der Lust. 2016 zog Lilian Mauthofer das erste Mal für anderthalb Jahre nach Beirut, wo sie begann, Momente des Alltags fotografisch zu dokumentieren. Im Oktober 2019 entstand die hier abgebildete Serie über die Proteste im Libanon.

artburst berlin e.V. hat mit Lilian Mauthofer über ihre Beziehung zur Fotografie, über ihre bisherigen fotografischen Projekte und über die Faszination und die Einzigartigkeit der libanesischen Proteste gesprochen.

 

 

Wie hast du dich auf den Protesten gefühlt? Warst du in Deutschland schon einmal protestieren, welche Unterschiede oder Gemeinsamkeiten gab es?

In der Nacht, als die Proteste angefangen haben, war ich im Taxi auf dem Weg von meinen Freunden zum Hotel, wo ich für die Konferenz untergebracht war. Es war 2 Uhr morgens und in meinem Zimmer konnte ich mich nicht vom Fenster wegbewegen, bis ich dann doch nochmal auf die Straße gegangen und für fast 3h durch Beirut gelaufen. Das Vergessen von Grundbedürfnissen wie z.B. genug Schlaf ist auf jeden Fall etwas, das sich bei mir in der Aufregung der Thawra durchgezogen hat. Und die Thawra schläft auch nicht – die Menschen waren Tag und Nacht auf der Straße und das hat nur deshalb funktioniert, weil sie sich umeinander gekümmert haben. Viele haben freies Wasser und Essen verteilt, Zelte und Decken besorgt.

Dieser lange Atem des Protests ist mir in Deutschland so vorher noch nicht begegnet. Persönlich habe ich mich oft gefragt, ob ich durch mein Auftreten als Deutsche zu viel Raum in den Protesten einnehme. Freunde, aber auch mir Unbekannte haben mir diese Zweifel genommen, indem sie mich in der Fotografie ermutigt haben. Gleichzeitig ist die Situation im Libanon stark von der internationalen Gemeinschaft abhängig, die korrupte Politiker*innen jahrelang unterstützt hat.

Die Tatsache, dass meine eigene Existenz und Privilegien, die Existenz Anderer so sehr einschränkt und erschwert, sollte für uns alle ein Grund sein, gemeinsam auf die Straßen zu gehen.

Was hat dich besonders berührt oder fasziniert, sodass du diese Momente mit der Kamera festhalten wolltest?

Ich wurde oft gefragt, wieso ich hauptsächlich Frauen* fotografiert habe und diese Frage bringt mich jedes Mal zum schmunzeln. Es sind so viele Frauen* auf den Fotos, weil so viele Frauen* auf der Straße sind und ihre Protestformen die lautesten, kreativsten und somit vielleicht präsentesten sind. Die Frauen* in der Thawra haben mir gezeigt, dass Wünsche und Träume zur Politik gehören genau wie sie zur Kunst gehören.

Wie bist du zur Fotografie gekommen?

Mein Vater hat mich während der Schulzeit jeden Freitag mit in seine Werkstatt genommen und ich habe dort seine Autoteile fotografiert. Gemeinsam haben wir uns ein kleines Fotostudio gebaut und die Grundtechniken von Fotografie gelernt. Bis heute fühle ich mich mit meiner Kamera in Werkstätten am wohlsten.

Was kann die Fotografie, was andere Kunstformen oder Texte vielleicht nicht können?

Ich finde es schwer, die Fotografie mit anderen Kunstformen zu vergleichen. In meiner Jugend habe ich viel geschrieben, Tagebuch, Kurzgeschichten und Gedichte, und seitdem mich die Kamera begleitet, habe ich fast gänzlich damit aufgehört. Oft dachte ich, und habe es auch für mich selbst so argumentiert, dass ich im Schreiben sehr stark mit dem Selbst-in-der-Welt beschäftigt bin und die Fotografie viel mehr ein Medium ist, um das äußere Geschehen in der Welt zu betrachten. Ich habe mir fest vorgenommen, die Welt zu sehen, nie wegzuschauen, und die Kamera war der Beweis, dass diese Momente existie ren oder existiert haben. Es war ein Prozess, der mich im Endeffekt zu der Erkenntnis gebracht hat, dass es keine klare Linie zwischen Self & Other gibt. Dass auch wenn ich andere Personen – mir oft fremde Personen – fotografiere, das Foto immer auch im Kontext zu mir
Selbst steht.

Mit dem Verständnis, dass Menschen niemals Objekte sind und es, neben der Kamera als Brücke zwischen Fotografin und der Person auf dem Foto, noch so viele andere Verbindungen, wie Empathie, Verständnis, Aufregung, Angst, Wut und so weiter gibt, hat sich auch das Narrativ geändert. Das Narrativ der Fotografie beruht auf dem Austausch zwischen dem Selbst und dem Anderen und ist damit auch abhängig von unserer Sensibilität füreinander.

Meine persönlichen Arbeiten finden hauptsächlich in der Dunkelkammer statt, da ich darin einen Ort gefunden habe, um diesen Austausch zu verarbeiten.

2017 gab es in Bayreuth deine Ausstellung “Women‘s Strength” zu sehen. Wie ist diese Foto-Serie entstanden und welche Verbindungen hast du nach Beirut?

Für mein Philosophiestudium bin ich 2016 das erste Mal nach Beirut gezogen und kann bis heute nicht wirklich einen Grund benennen, warum ich mich an diesem Punkt dafür entschieden habe, im Libanon zu leben. Bei meiner Ankunft kannte ich niemanden dort und habe mich anfangs in einem mir ganz unbekannten Kontext bewegt. Das hat sich aber schnell geändert und ich habe viele intensive Freundschaften aufgebaut, die mich bis heute begleiten und auch in meiner Arbeit ermutigen. So auch der Kontakt zu den Arbeiter*innen von Recycle Beirut.

In meiner ersten Woche im Libanon bin ich eher zufällig auf die Initiative gestoßen und wurde gefragt, ob ich die Arbeit der Recycle Initiative fotografisch begleiten kann. Die Arbeiter*innen sind palästinensische und syrische Geflüchtete; viele sind Frauen, die sich alleine um ihre Familien kümmern müssen und keine offiziellen Aufenthaltspapiere haben. Wir haben viele Wochen gemeinsam verbracht, bis sie mich das erste Mal gefragt haben, ob ich sie fotografieren kann. Diese Erfahrung hat mich gelehrt, dass Fotografien Sichtbarkeit und damit auch Schutz geben können.

Was hat sich im Vergleich zu deinen Arbeiten zu “Woman Strength” und den Protesten in Beirut 2019, bei denen die Fotografien zu “Thawra” entstanden sind, verändert?

Oft wird Fotografie so verstanden, dass es darum geht die Kamera im richtigen Moment dabei zu haben und im Fall eines wichtigen Ereignisses schnell abzudrücken. Dieser Anspruch an Geschwindigkeit und eine schnelle Reaktion auf das Geschehen habe ich aber nicht gespürt. Für viele meiner Fotos musste ich sehr geduldig sein – warten, bis ich das Gefühl habe, dass die Menschen sich in der Situation wohlfühlen. Miteinander sprechen und zuhören, bis die Kamera nicht mehr als Eindringling oder unangenehm empfunden wird. Und allem voraus ein gemeinsames Verständnis, wieso man sich in dieser Situation befindet und was man den Menschen mit den Fotos zurückgeben kann.

Women’s Strength war meine erste politische Fotoserie und als ich damit angefangen habe, war ich auch erst eine Woche im Libanon. Bei den Fotografien der Thawra kam es auf der Straße dann doch plötzlich auf Geschwindigkeit im Abdrücken an – das hat aber nur funktioniert, weil ich zuvor schon 1,5 Jahre im Libanon gelebt und den Kontext kennengelernt habe. Beide Fotoserien haben gemeinsam, dass ich als Fremde in einen Raum von sozialen Konflikten getreten bin und beide haben auch gemeinsam, dass ich durch meine Fotografien versuche, den Stimmen der Menschen ein Echo zu geben.

Möchtest du nach Beirut zurückkehren und weitere Projekte dort umsetzen?

Ja, ich denke Beirut ist einer dieser Orte, an die ich immer wieder zurückkehren werde. Tatsächlich wäre ich gerade wahrscheinlich auch dort, wenn die Welt nicht ihrem eigenen Wahnsinn erliegen würde.

Was sind deine nächsten Projekte?

Im Rahmen der Ausstellung Vices and Validations in Beirut (2019) habe ich mich mit meinem eigenen Bewusstsein in Momenten, in welchen die Trennung zwischen dem Selbst und dem Anderen verschwommen ist, beschäftigt. Irgendwann in meiner Kindheit hat mein Körper in bestimmten Momente auf dieselbe unvorhersehbare Weise reagiert: meine Knie zittern, die Geräusche haben einen seltsamen Hall und ich werde ohnmächtig. Diese Erfahrung der Ohnmacht als Reaktion auf Empfindungen ist zu etwas geworden, das ich an mir selbst akzeptieren musste. Die Perspektive der Ohnmacht benutze ich deshalb auch weiterhin in meiner Arbeit. Nebenbei bin ich auch viel in der Dunkelkammer und arbeite mit Negativen der letzten Jahre.

Born in 1995, Lilian Mauthofer currently lives and works in Berlin. During her studies in political philosophy, the world of images as a representation of the current zeitgeist has always been important to her. Her photographs are dedicated to questions of the connection between Self & Other, social justice, empowerment and lust. In 2016 Lilian Mauthofer moved to Beirut for the first time for a year and a half, where she began to photographically capture moments of everyday life. In October 2019 she created the series on the protests in Lebanon shown here.

artburst berlin e.V. spoke with Lilian Mauthofer about her interest in photography, about her previous photographic projects and about the fascination and uniqueness of the Lebanese protests.

 

 

How did you feel at the protests? Have you ever been to Germany to protest, what differences or similarities were there?

The night the protests started, I was in a taxi on my way home from my friends’ place. It was 2am and when I was in my room, I couldn‘t move away from the window. I eventually went out on the street again and walked through Beirut for almost 3h. Forgetting basic needs such as enough sleep is definitely something that went through me in the excitement of the Thawra. And the Thawra doesn‘t sleep either – people were on the streets day and night. This only worked because they took care of each other. Many people distributed free water and food, got tents and blankets. I have never encountered this long breath of protest before in Germany.

On a personal level, I have often asked myself whether my appearance as a German is taking up too much space in the protest. Friends, but also people unknown to me, have taken away these doubts by encouraging me in my photography. At the same time, the situation in Lebanon is strongly dependent on the international community, which has supported corrupt politicians for years.

The fact that because of my own existence and privileges, the existence of others is so limited and complicated should be a reason for all of us to take over the streets together.

What touched or fascinated you in particular so that you wanted to capture these moments with your camera?

I have often been asked why I mainly photographed women* and this question always makes me smile. There are so many women* in the photos because there are so many women* on the streets of the Thawra. Their way of protest is also the loudest, most creative and therefore perhaps most present in my opinion. The women* in the Thawra have shown me that wishes and dreams belong to politics as much as they belong to art.

How did you get into photography?

When I was younger, my father often took me to his car garage and I photographed his car parts. Together we built a small photo studio and learned the basic techniques of photography. To this day, I feel most comfortable with my camera in places of craftwork.

What can photography do that other art forms or texts perhaps cannot?

I find it difficult to compare photography with other art forms. During my youth, I was writing a lot – diary, short stories and poems – and ever since I found my way to photography, I have almost completely stopped. Often I thought, and have argued for myself, that writing is very much about the Self, and photography is much more a medium to look at what is happening outside of oneself. I firmly resolved to see the world, told myself to never look away, and the camera was the proof that moments exist or have existed. #

It was a process that ultimately brought me to the realization that there is no clear line between Self and Other. That even when I photograph other people – often strangers to me – the photograph is always in context with myself. With the understanding that people are never objects, and that there are so many other connections besides the camera between the photographer and the person in the photo, such as empathy, understanding, excitement, fear, anger, and so on, my narrative has also changed.

I believe that the narrative of photography is based on the exchange between the Self and the Other and is therefore also dependent on our sensual perceptions towards each other. My personal work takes place mainly in the darkroom, because I have found a place in it to process this exchange.

2017 your exhibition „Women‘s Strength“ was shown in Bayreuth. How did this photo series develop and what connections do you have to Beirut?

I moved to Beirut for the first time in 2016 to study philosophy, and to this day I cannot really give a reason why I decided to live in Lebanon at this point. When I first arrived, I didn’t know anyone and moved in a context completely unknown to me. But that changed quickly and I have built up many intensive friendships which accompany me until today and also encourage me in my work. Just as the contact to the workers of Recycle Beirut.

It was in my first week in Lebanon that I came across the initiative rather by chance and was asked if I could accompany the work with my camera. The workers are Palestinians and Syrians; many of them are women who have to take care of their families by themselves and have no official residence papers. We spent many weeks together until they asked me for the first time if I could photograph them. This experience taught me that photographs can give visibility and thus, also protection.

What has changed compared to your work on „Woman Strength“ and the protests in Beirut in 2019, where the photographs for „Thawra“ were taken?

Photography is often understood to be about the right moment and being able to pull the trigger quickly. I have never felt this demand for speed and a quick reactions. In fact, for many of my photos I had to be very patient – waiting until I felt that people were comfortable in the situation. Talking and listening to each other until the camera is no longer perceived as an intruder has been essential. And above all, a common understanding of why we are in this situation and what I can give back with my photos is important.

So Women‘s Strength was my first political photo series and when I started with it, I was only in Lebanon for a week. In the case of the Thawra, speed suddenly did become important on the street but that only worked for me because I had
already lived in Lebanon for 1.5 years and thus, had some time to understand the context. What both projects have in common is that I, as a stranger, have entered a space of social conflict and through my photographs I try to give an echo to the voices of the people.

Do you want to return to Beirut and implement further projects there?

Yes, I think Beirut is one of those places I will always return to. In fact, I would probably be there right now if the world had not succumbed to its own madness.

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